dazwischen
Sonntag, 7. Dezember 2025

Erstaunlich.

Phase 1

Die Untergrabung der liebevollen Autorität.

Das Kind testet Grenzen aus. Ein mehr als normales Verhalten. Ich versuche, angemessen streng, aber immer freundlich zu agieren, wenn es soweit kommt. Der Biersüchtige hört aus der Ferne einen, ein bisschen schärferen Tonfall von mir, und beginnt sich aufzubauen, ich höre, wie er zwei Zimmer entfernt wie ein Nashorn-Bulle, der rot sieht, mit den Hufen zu scharren beginnt, bis er losstürmt und, hochrot und mit den schlimmsten Schimpfwörtern bewaffnet das Kind in einem Tonfall anbrüllt, dass die Wände wackeln. Im selben Augenblick ist meine natürliche Autorität dahin, weil ich das Kind vor diesem Wahnsinnigen beschützen muss, was übrig bleibt ist ein Kind, das sich nicht auskennt und deswegen einfach macht, was es selbst für richtig hält, und ein völlig erschöpftes Ich.

Der Biersüchtige entschuldigt sich nie, das kommt einfach nicht vor in seinem Repertoire.

Er hat von sich das Bild, er sei immer lieb. Ja. Sofort beginne ich, über meine eigenen, blinden Flecken nachzudenken. Meine narzisstische Wunde ist aktiviert, ich kriege Angst, dass ich alles falsch mache. Schuld bin, ziehe die Schultern ein, ja, was hat eine wie ich sich dabei gedacht, ein Kind zu kriegen, ich bin ein Verbrecher, und so weiter und so fort.

Phase 2

Die Sonntage laufen seit Monaten, gar Jahren nach Schema Urgs ab. Es wird grantig, weil verkatert, aufgestanden, von seiner Seite, und murrend Frühstück gemacht. Dann kommt ein Anfall von 'wir müssen putzen' und 'was kochst Du heute für eine Pampe?' - gemeinsames Mittagessen, danach sein Ausflug in den Mittagsschlaf, wenn das Kind und ich nicht leise genug sind, wird schon mal ordentlich herumgebrüllt. Wenn wir es geschafft haben, leise genug gewesen zu sein, kommt er gegen drei Uhr noch extrem grantiger und schlecht gelaunter vom 'Schläfchen' ins Wohnzimmer zurück, die Augen stehen so schräg, wie sie es immer tun, wenn er besonders aggressiv ist. Das ewig Gleiche beginnt: 'Ich gehe raus, mit dem Kind!' Alleine war ihm immer zu fad, Freunde hat er nicht, unsere hat er alle vertrieben. Anderes Thema. Das Kind hat natürlich wenig Lust, mit so einem wildgewordenen Typen raus zu gehen, weil es auch für ihn selten mit Spaß verbunden ist, der Biersüchtige kann nämlich irgendwie nicht zuhören, und etwas zu erzählen und zu plaudern ist dem Kind das liebste. Er leidet. Und will nicht, also zwinge ich ihn, mit seinem Vater raus zu gehen, jedes einzelne Mal, der schreit mich an 'Mach doch was! Du hast das Kind völlig verzogen!' Und dann sind sie draußen, ich heule innerlich und beginne mit meiner Aufgabe, dem Wohnung putzen. Bis sie wieder da sind, das Kind ausgelüftet und manchmal sogar gut gelaunt, weil er auch Bewegung liebt, der Biersüchtige kühlt sich sofort die ersten Bierchen für den Abend ein, dreht den Tv oder den Computer auf und dann wird versumpft.

Phase 3

Mitgesoffen hab ich nie, ab und zu ein Achterl Rotwein getrunken, im August 2024 stelle ich das völlig ein und kaufe mit einen Heimtrainer. Da ich unter Heuschnupfen leide und dicklich bin, eine hochsensible Person und sehr geräuschempfindlich, möchte ich keinen Sport draußen machen, im Fitnesscenter halte ich die Gerüche nicht aus, seit mehr als zehn Jahren träumte ich von einem Sportgerät für daheim. Der Biersüchtige hat das immer vehement abgelehnt, der würde im Weg herum stehen. In diesem August bestelle ich einfach einen. Beginne mit Sport, radle in einem halben Jahr 1000 Kilometer runter und fasse Mut, den Biersaufenden zu verlassen.

Phase 4

Ein halbes Jahr später ziehe ich aus. Mache alles völlig alleine, den kompletten Umzug, gebe mehr als die Hälfte meiner Ersparnisse aus, um die Wohnung liebevoll einzurichten, damit das Kind möglichst nicht noch mehr leidet. Niemand hilft mir, meine Familie kommt mich 1 mal besuchen, also Teile davon, dem Rest bin ich nicht mal das wert. Aber Freunde kommen. Nebenbei erhöhe ich mein Arbeitspensum auf 38,5 Stunden, da die Miete hoch ist und ich Angst vor der wenigen Pension habe, die mich einmal erwartet.

Phase 5

Der Biersüchtige will sich einbringen, weil er das Kind sehen möchte, dem mag ich nicht im Wege stehen. Er ändert jedoch pausenlos die Abmachungen, weil er von Date zu Date torkelt, auf der Suche nach Hilfe im Außen, die er dort nie finden wird, ich wünsche ihm Heilung und Liebe, aber erst müsste er nüchtern werden, er sieht sein Problem jedoch nicht im Geringsten ein. 'Die paar Bier!' Ja, die paar Bier. Das Kind blüht auf währenddessen, will aber nie zu ihm, jedesmal muss ich ihn mühsam überreden, und jedes einzelne Mal kommt er aggressiv von seinem Vater retour.

Phase 6

Wir haben Freunde zu Besuch, zwei unserer allerliebsten Freunde seit vielen Jahren. Sowohl das Kind, als auch ich, lieben sie sehr. Wir essen, plaudern, das Kind geht spielen in sein Zimmer, kommt wieder und beginnt, mich zu beschimpfen. Haut mich, nennt mich beim Vornamen. Macht sehr fiese Witze auf meine Kosten, zeigt alles in allem ein Verhalten wie sein Vater, irgendwie. Bittet mich, mit den Freunden alleine sprechen zu dürfen, ich verlasse das Zimmer, gehe im anderen Raum auf den Balkon und denke nach. Er fragt sie, erzählen sie mir dann, ob es respektvoll oder komisch ist, ihrer Meinung nach, wenn er mich mit dem Vornamen anstatt 'Mama' anspricht. Er schwebt nach wie vor in der Luft. Er hat keine Anker. Seine Großeltern sind nicht verfügbar für ihn, der einen Oma ist er emotional zu stark, weil diese Oma hasst selbstbewusste Menschen, da sie leider unter einer schweren Störung leidet, aus der ihr keiner heraushelfen kann. Mein Bruder ist davon genauso betroffen, sehr zu meinem Leidwesen, weswegen er seine Familie von dem Kind und mir tunlichst fernzuhalten sucht, und da meine Mutter aufgrund ihrer Störung die Trennung in goldenes Kind und Sündenbock streng und vehement vollzogen hat, glaub er, seine Privilegien völlig verdient zu haben und sieht in mir genauso 'das Böse' wie sie.

Ich arbeite mich kringelig, habe so gut wie keine Pausen, werde aber behandelt, als wäre ich faul und dumm, unfähig und sinnlos. Wer zu kurz kommt, ist das Kind. Wir finden dennoch langsam eine Routine in der neuen Wohnung, die er bereits über alles liebt, er sieht allerdings schon zu viel fern und zockt, ich habe ihm einen Computer gekauft. In meiner Kernfamilie herrscht die einige Meinung, dass mein Kind nichts anderes tut, als fernzusehen und zu zocken. Sie können das allerdings in Wahrheit gar nicht beurteilen, weil sie sich für mein Leben nicht interessieren, manchmal muss ich O mit in die Arbeit nehmen, dort kann ich mich nicht um ihn kümmern, weswegen er dort digitalisiert, was sie als 'für alles' werten.

Unsere Tage sehen anders aus, wenn wir nicht dort sind, wir gehen ab und zu in den Wald oder skaten, lernen gemeinsam, er zeichnet mit mir, räumt mir den Spüler aus, hängt die Wäsche auf und bringt den Müll runter (das allerdings nur nach Diskussionen, und mit einer Schmieche bewaffnet.) Wir kochen gemeinsam, ich habe ihm schon Biskuit-Roulade backen beigebracht und wir sind abwechselnd Chefkoch und Handlager zum Gemüse oder Champignons schnippeln. Abends lese ich ihm wieder vor oder wir hören Musik, wir singen einfach mal so gemeinsam los, wer halt anfängt, wer einstimmt ergibt sich, er spielt viel Lego und hat ab und zu Besuch. Lernt Gitarre und geht zum Gesangsunterricht. Wir kommen zur Ruhe, seine Lehrerin meldet mir zurück, dass er seine Angst verloren hat und gerade ziemlich aufdreht, weil er glücklich ist, er ist glücklich.

Phase 7

Ich schicke ihn zu Bett, ohne Gute Nacht Kuss, ohne Kuscheln, ohne Musik, an diesem Abend. Die Gäste sind weg, ich räume auf, O versucht mich ein paar Mal anzusprechen, ich sage nicht mehr viel, bin traurig und bekümmert, dass es mir nicht gelungen ist, den Biersaufenden aus seinem Verhalten zu verbannen. Er schläft ein, ich suche noch bis drei Uhr früh nach einer Lösung für ein Problem in meiner Arbeit, schlafe irgendwann erschöpft ein. Am nächsten Morgen ist O zerknirscht, er merkt, dass es nicht in Ordnung war, wie er mich behandelt hat. Versucht, nach Oma, Bruder, Biertrinker - Manier, noch eine halbherzige Entschuldigung mit eingebautem 'aber eigentlich bist Du schuld, Mama' auf die ich nicht reagiere, dann geht er nachdenken. Kommt angezogen mit seinem Taschengeld bewaffnet aus seinem Zimmer, sagt, er geht jetzt Semmerln kaufen. Für uns, fürs Frühstück. Ich sage ihm, er soll den Schlüssel mitnehmen und über den Zebrastreifen gehen.

Als er wieder da ist, ist der Tisch gedeckt, es gibt Kakao und Kaffee und eine Kerze brennt. Ich schicke ihn duschen, es gibt zum ersten Mal seit langem keine größeren Diskussionen deswegen, jetzt zockt er mit seinen Freunden irgendein Ballerspiel.

Phase 8

Ich liebe ihn. Seit ich mit ihm schwanger war, liebe ich ihn. Er ist höchstbegabt, weswegen er irrsinnig viel Input braucht. Das Fernsehen gibt ihm diesen Input, wenngleich er Bücher lieber hat, und hätte nicht jeden Abend der schwarze Altar geglüht in der Wohnung mit dem Biersaufenden, meine jahrelangen Bemühungen hätten noch mehr Früchte getragen, ich habe ihm circa 1k Bücher vorgelesen seit er ein Baby ist, hatte ihn schon so weit, dass er selbst lesen wollte, aber der Sog der Berieselung war stärker damals und ich konnte dem Biertrinker das nicht deutlich machen. Er drehte den TV auf, wie das Amen im Gebet. Hier, in der neuen Wohnung gibt es keinen Fernseher. Wenn das Kind wütend ist, seine Grenzen austestet, gebe ich mir diese Schutzdinger in meinen Gehörgang und dann kann ich heiter und gelassen bleiben, wie ein Fels in der Brandung. Gestern gab es eine massive Diskussion wegen dem Mistkübel, geendet hat es damit, dass wir eine Kitzelschlacht gemacht haben und er sowohl Papiermüll, als auch Restmüll ordnungsgemäß entsorgt hat. Ich habe gelernt, Nein zu sagen, weil ich davon überzeugt bin, dass das sinnvoll ist. Dinge machen, erledigen, sich bemühen und sein Bestes geben, aber ohne andere zur Schnecke machen zu müssen aus Wut oder Neid oder was auch immer für Gründen. O und ich sind Drinnies, die gerne raus gehen. Wir sind keine Getriebenen, wir flowen durch unseren verdienten Sonntag. Und seit ich weiß, wie die offenen narzisstisch Gestörten in meiner Umgebung versuchen, mich zu provozieren, können sie es nicht mehr. Auseinandergenommen.

Ich habe keine Angst. Weder vor einem Hobby-Alkoholiker, noch vor einem neidzerfressenen Möchte-gern-Künstler, noch vor einer verbitterten Frau, die gerne für böses Blut sorgt. Ich habe mir verbeten, dass die Tussi (noch wer, der gerne meine Postion hätte, dem aber einige Fähigkeiten dafür fehlen) mich weiter mobbt, sie weiß jetzt, dass ich sie ganz genau beobachte. Ich habe keine Angst vor Putin und Trump, ich hab sie auseinandergenommen. Und wenn sie eine Atombombe her schmeissen, es ist mir egal. Ich habe gewonnen. Wir haben Liebe gegeben und bekommen, und die lebt ewig. Die Narzissten werden vergessen, tot und begraben. Die Lieben, die Netten, die bleiben. Die bleiben im Herzen. Wie Du, Papa, wie Du O, wie Du geliebter T. Wie ich.

Phase 9

Sonne scheint, blauer Himmel, kalt ist es. Das Kind zockt, ich lasse ihn so lange zocken, bis er herkommt und ihm das zu fad ist. Wir haben ihn viel zu lange viel zu sehr gestresst. Er hat um einen Punkt die 1 versäumt auf die Matheschularbeit. Er lernt Deutsch, seine Schrift ist halt schlimm, aber selbst der Astronom Edwin Hubble war schlecht in Grammatik. Und wir verdanken dem solch tolle Einsichten. Ich lasse mich nicht mehr ungestraft als 'Du bist doch krank!' bezeichnen. Ich bin krank gewesen, weil das eine normale Reaktion auf mein gestörtes Umfeld war. Dank Guerilla-Maßnahmen wohlmeinender Menschen in meinem Leben konnte ich genug lernen, um das zu verstehen und auf eigenen Beinen stehen zu können. Meinen Shrink hab ich einst gefragt, ob ich ein Narzisst sei. Er hat so gelacht. Und mir eine spannende Frage dazu gestellt.

Die habe ich nun beantwortet. Nehmt dies als Kriegserklärung. Wir sind viele, ihr seit nur in eurer Phantasie mehr. Aber Seifenblasen haben die Angewohnheit, nur sehr kurz wunderbar zu schillern.

Ich mach mir mal einen Tee und ein Roggenweckerl mit Butter. Toast hab ich nicht.

Phase 10

Und sie verliessen den Zeitraum, als das Wünschen noch geholfen hatte, und lebten glücklich, fleissig und liebevoll bis an ihr Ende.

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